Frauenbildung und gebildete Frauen um 1900
1914 schrieb
Arnold Sachse in seiner Schrift „Volksschulen“: „Die Erfahrung
wird zeigen, ob das weibliche Geschlecht körperlich und geistig den
jetzt gestellten Aufgaben gewachsen ist.“ Gemeint war damit die
Angleichung der Lehrerinnenausbildung an die Ausbildung, welche ihre
männlichen Kollegen erhielten.1
Das war ein Verdienst von Frauenorganisationen, in denen Lehrerinnen,
aber auch andere Frauen sich vernetzt hatten, um für ihre Belange
einzutreten.2
Erziehung und Bildung von Mädchen
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Gelbe Broschüre 1887 von Helene Lange |
Dass Mädchen zur Schule gehen, studieren und ihnen beruflich alle Wege offenstehen, ist für uns heute ebenso eine Selbstverständlichkeit wie der Unterricht bei einer Lehrerin. Doch das war nicht immer so.
Noch vor
120 Jahren waren unabhängige, berufstätige Frauen die Ausnahme, da
die Gesellschaft die Frau vor allem als Ehefrau und Mutter vorsah.
Ihr Wirken beschränkte sich allein auf den häuslichen Bereich,
während der Mann das gesellschaftliche Leben organisierte und das
Einkommen erwirtschaftete.
Die Erziehung der Mädchen bereitete sie
schon früh auf ihre Rolle als Mutter und Ehefrau vor: Sie
erlernten das Kochen und Hausarbeiten von ihren Müttern und anderen
weiblichen Verwandten und verbrachten bis zu ihrer Heirat nicht
selten eine Zeit als Hausmädchen in einem fremden Haushalt.
Auf dem
Land und in den unteren Gesellschaftsschichten waren sie oft an der
Erwirtschaftung des Unterhalts der Familie beteiligt. Die
Schulbildung, das Erlernen von Lesen, Schreiben und Rechnen, blieb
dabei oft auf der Strecke und nicht selten weist gerade sie
Schulbildung von Mädchen trotz Schulpflicht auch um 1900 noch immer
Lücken auf.
Wer wurde Lehrerin und warum?
Erst Ende des 19.
Jahrhunderts öffnete sich das Bildungssystem mehr und mehr für
Frauen. Lehrerin wurden zunächst vor allem Mädchen aus dem
Bürgertum für die es eine der wenigen Möglichkeiten war sich
unverheiratet oder im Todesfall des Ehemannes zu versorgen.
Die
zweite Gruppe von jungen Frauen, die zu Lehrerinnen wurden, sind
Mädchen aus der Unterschicht. Ihnen gelang damit ein sozialer
Aufstieg, von dem auch die Familie oftmals finanziell profitierte.
Dass es sich aber trotz der vielen persönlichen Vorteile vielfach um
Pädagoginnen aus Überzeugung gehandelt haben dürfte, zeigen das
rege Engagement in Lehrerinnenvereinen und der vielfache Besuch von
Tagungen der weiblichen Lehrkräfte.
Wie man Lehrerin wurde
Bis 1920 waren
Lehrerinnen in Volksschulen, höheren Mädchenschulen und in
Privathaushalten Angestellt, ohne eine einheitliche Ausbildung
erhalten zu haben.3
Sie bereiteten sich durch Seminare über Privatunterricht oder durch
autodidaktische Studien auf die Lehrerinnenprüfung vor.
Dies änderte
sich 1911, als die Ausbildung und Prüfung der Volksschullehrerinnen
von der Ausbildung und Prüfung der Lehrerinnen an mittleren und
höheren Mädchenschulen vollkommen getrennt wurde. Lehrerinnen mit
der Ausbildung für mittlere und höhere Mädchenschulen konnten an
Volksschulen unterrichten, umgekehrt war das nicht mehr der Fall.4
Mit dieser Regelung sollte eine Angleichung der Ausbildung männlicher
und weiblicher Lehrkräfte und ein einheitliches Niveau erreicht
werden. Die Laufbahn sah nun den Besuch der Staatlichen
Lehrerinnenseminare zwingend vor. Bis 1900 existierten nur fünf
dieser Seminare für Volksschullehrerinnen, von denen vier katholisch
waren. Nach dem Erlass 1914 wuchs die Gesamtzahl auf 18 Seminare an.5
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Historischer Arbeitstisch im Büro des Schulmuseums |
Das Lehrerinnenzölibat
1880 wurde im
Deutschen Reich das sogenannte Lehrerinnenzölibat erlassen. Frauen,
die der Lehrtätigkeit nachgehen wollten, mussten ab 1880
unverheiratet sein und schieden mit einer Eheschließung aus dem
Staatsdienst aus. Sie verloren damit ihren Beamtenstatus und ein
Anrecht auf Pensionszahlungen.
Der religiöse Einfluss in der
Lehrerinnenausbildung mag mit ein Grund für das sogenannte
„Lehrerinnenzölibat“ gewesen sein, doch vor allem die bereits
angesprochenen gesellschaftliche Aspekte und das Vorurteil, dass
Frauen einer Doppelbelastung durch Familie und Beruf nicht
standhalten könnten, spielten eine nicht unbedeutende Rolle.
Die jungfräuliche Lehrerin?
Der Verzicht auf
die Ehe bedeutet jedoch nicht, dass Lehrerinnen das oft verschriene
Leben einer alten Jungfer führten und vom sozialen Leben
ausgeschlossen waren.
Oftmals unterhielten sie rege Kontakte
untereinander, hatten ein aktives Sozialleben und bildeten
Wohngemeinschaften. Inwiefern diese unter Umständen tatsächliche
Lebensgemeinschaften darstellten, lässt sich aber bislang mangels
Dokumenten nicht nachvollziehen.
Lehrerinnen in der Moderne
Endgültig
aufgehoben wurde das Lehrerinnenzölibat tatsächlich erst 1957 durch
das Bundesarbeitsgericht.
Heute, 63 Jahre später sind Lehrerinnen
und Lehrer weitgehend gleichgestellt. Lehrerinnen erhalten die gleiche
Ausbildung und unterrichten dieselben Fächer wie ihre männlichen
Kollegen - allerdings verdienen besonders Grundschullehrerinnen immernoch bedeutend weniger an ihrem Beruf.
Melody Stach
Quellen:
1
Arnold Sachse, Volksschulen, aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II., zweiter Band neuntes Buch S. 51-77, 1914.
2 Ebd.
3
Susanne Pillmann, Mädchenbildung in Deutschland. Geschichte des
Berufes Lehrerin, 2013
4 Arnold Sachse, Volksschulen, aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II., zweiter Band neuntes Buch S. 51-77, 1914.
5 Ebd.